Verzicht ist ein Gewinn

     


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    «Verzicht nimmt nicht. Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.» Ich halte es wie der deutsche Philosoph Martin Heidegger. Wir wissen: Allein über möglichen Verzicht zu sprechen, macht schon schlechte Laune. Verzicht fühlt sich am Anfang nie gut an. Es ist wie bei allem – wir müssen zuerst den «inneren Schweinehund» überwinden, sei es die warme Stube zu verlassen, regelmässig ins Training zu gehen, zu sparen und das Budget in die Balance zu bringen, etc. Momentan stecke auch ich mitten in der Verzichtspirale fest. Es kann echt anstrengend sein, wenn überall Versuchungen lauern, gegen die wir uns behaupten müssen. Im Kühlschrank, im Internet, im Liebesleben: Immer gibt es etwas, das vielleicht noch besser wäre, etwas, das uns noch mehr Befriedigung verschaffen könnte, jemanden, der noch besser zu uns passen würde. Warum kann ich nicht einfach «s Füfi und s Weggli» haben, warum bedeutet die Entscheidung für etwas (Vernünftiges) auch immer den Verzicht auf etwas anderes (das Spass macht)? Das fragt man sich am Anfang eines jeden Verzichtes unweigerlich.

    Als Frau weiss ich, was es heisst, verzichten zu müssen, um (meinen) Ansprüchen zu genügen: Sei lustvoll beim Essen, aber nimm nicht zu. Gut das regeln mein egozentrischer Reizdarm und meine Bambi Seele auf ihre Weise. Sei immer gut gekleidet, aber gib nicht zu viel Geld aus. Bekomme Haushalt, Job und aktive Freizeit unter einen Hut, aber schaue nie erschöpft aus. Und lebe frei nach dem Lustprinzip. Ohne Verzicht (fast) nicht möglich. Den meisten Menschen hierzulande geht es glücklicherweise gut, und wir haben mehr als das, was wir brauchen. Dennoch tun sich viele mit dem Verzichten schwer. Meistens sehe und schätze ich das, was ich alles schon habe. Und manchmal will ich eben etwas haben, das ich dann doch nicht bekomme. Und dann? Ja dann betrachte ich die ganze Sache aus der christlich, seelischen, spirituellen und philosophischen Perspektive – das hilft immer.

    Die Fastentraditionen beispielsweise der grossen Weltreligionen lehren uns: Es geht beim Verzicht immer um Körper und Geist. Ergo – ab wann jemand Verzicht als Zumutung empfindet, lässt sich kaum vorhersagen. Denn es geht entscheidend darum, welche Sache es ist, von der die Trennung zu weh tut. Man kann ein Tempolimit auf Autobahnen verteufeln, während man gleichzeitig nur fettfreien Joghurt im Kühlschrank hat und Schokolade meidet. Denn in der eigenen Wahrnehmung fühlt sich das schnelle Autofahren frei an und die Diät vernünftig. Echte Hedonistinnen, die fortwährend den eigenen Gelüsten nachgeben, gibt es kaum. Im modernen Lebensstil geben sich Genuss und Askese die Hand. Luxus und Selbstdisziplin. Freiheitsstreben und die Sehnsucht, das Leben mit einfachen Regeln zu ordnen. Vegan zu essen kann als grosse Tierliebe, Schlüssel zu strahlender Haut oder langem Leben verstanden werden, statt als Selbstkasteiung. Wer einmal die eigene Ernährung umgestellt hat, merkt zudem irgendwann, dass die Lust auf die gestrichenen Lebensmittel weniger wird und irgendwann verschwindet. Man denkt schlicht und ergreifend nicht mehr darüber nach und lernt. Über die Routine laufen Verhaltensweisen schliesslich unbewusst ab, und man quält sich nicht mehr damit, etwas zu tun oder zu lassen. Daher passt das Bild nicht. Verzicht als langes Leiden darzustellen, das die Freude am Leben dauerhaft trüben wird. Die Willensstärke, ein Verhalten zu ändern, brauchen Menschen nur wenige Wochen lang. Dann ist es geschafft.

    Und damit schlage ich – ganz unkonventionell – den Bogen zur aktuellen politischen Debatte über die 13. AHV-Rente. Hier geht es auch um Verzicht. Die 13. AHV-Rente mag gut gemeint und verlockend sein – wer gönnt seinen Eltern oder Grosseltern nicht einen Zusatzbatzen? Doch Nehmen und Zustimmen ist das eine – die entsprechenden Konsequenzen tragen das andere. Denn im Leben ist bekanntlich nichts gratis – auch die 13. AHV-Rente nicht. Irgendjemand muss das bezahlen. Bis jetzt hat das Schweizer Volk immer ziemlich vorausschauend agiert – mit Erfolg. Dies sollten wir auch weiterhin tun und diese vermeintliche Kröte schlucken und verzichten. Das sich langfristig als «Prinz», respektive (Geld)segen für die nächsten Generationen herausstellen wird. Und Eben: Verzicht gibt auch.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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